2. Juli 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

City Cloisters, 188-196 Old Street, London EC1V9FR,
ph: +44(0)207 814 9011, fax +44(0)207 814 9015, e-mail: tin@tibetinfo.net, www. tibetinfo.net

Tulku wegen der Flucht des Karmapa aus seinem Kloster entfernt

Pawo Rinpoche, ein 8-jähriger, von dem 17. Karmapa anerkannter reinkarnierter Lama (= Tulku), wurde auf die Flucht Karmapas im vergangenen Jahr hin von den Behörden aus seinem Kloster nach Lhasa gebracht, am Tragen seiner Mönchskleider gehindert und zum Besuch einer normalen Volksschule gezwungen.

Der junge Rinpoche, einer der wichtigsten noch in Tibet verbliebenen Lamas der Karma Kagyu Linie, dessen Anerkennung zuvor von den Chinesen gebilligt wurde, steht nun unter strenger Bewachung und darf keine religiösen Studien mehr betreiben, seit er im letzten Sommer nach Lhasa gebracht wurde. Zwei Sicherheitsbeamte begleiten ihn täglich zu seiner Schule, und es werden kaum Besucher bei ihm zuhause, wo er mit seiner Mutter wohnt, zugelassen. Mehrere tibetische Mönche, die sich nun im Exil befinden und die Pawo Rinpoche kannten, sagten, die Entfernung des Knaben aus seinem Kloster sei eine Vergeltung für die Flucht des Karmapa ins Exil im Januar 2000.

Pawo Rinpoches traditioneller Sitz, das Kloster Nyenang in Kreis Toelung Dechen, Bezirk Lhasa, liegt in der Nähe von Tsurphu, dem Stammkloster des Karmapa in Tibet, und die zwei Institutionen stehen in engem religiösem und sozialem Zusammenhang. Zwischen den beiden Reinkarnationen des Pawo Rinpoche und des Karmapa gab es wichtige historische Verbindungen, sie standen nämlich im Schüler-Lehrer Verhältnis zueinander. Ein höherer Lama von Kloster Nyenang, Tsewang Tashi, floh zusammen mit dem 15 Jahre alten, als der 17. Karmapa anerkannten Ugyen Trinley Dorje im Januar 2000 nach Indien. Niedergeschlagenheit herrscht sowohl in Nyenang als auch in Tsurphu, seit der Karmapa nach Indien floh und Pawo Rinpoche entfernt wurde. Die Zahl der Mönche in beiden Klöstern ging zurück, zum einen als Folge der patriotischen Umerziehungskampagne und der Ausweisung von Mönchen und zum anderen, weil viele von ihnen wegen des Fehlens einer höheren religiösen Persönlichkeit das Kloster verlassen.

Ein Mönch aus der betreffenden Gegend, der nun im Exil lebt, äußerte TIN gegenüber: "Früher kamen viele Pilger und Touristen nach Nyenang, aber jetzt sind es nur noch sehr wenige, weil kein Lama mehr hier ist. Dasselbe ist der Fall in Tsurphu, seit der Karmapa wegging. Mehrere Mönche verließen Nyenang, weil sie ohne Pawo Rinpoche nicht mehr dort sein wollen. Alle sind so traurig geworden". Er fügte hinzu, die Mönche in Nyenang dürften nicht einmal Photos von Pawo Rinpoche behalten.

Tsuglag Mawe Dayang war 15 Monate alt, als er 1994 von dem 17. Karmapa als die 11. Inkarnation von Pawo Rinpoche (der im August 1991 in Indien verstorben war) anerkannt wurde. Bei der Suche nach der Wiedergeburt des 10. Pawo Rinpoche benutzte die Kommission einen Brief des jungen Karmapa, der Details über den Ort und die Jahreszeit der Geburt des Kindes nannte und Hinweise auf die Namen seiner Eltern, sowie Informationen über die Umgegend gab. Das in der Präfektur Nagchu gefundene Kind Tsuglag Mawe Dayang wurde nach seiner Anerkennung nach Nyenang gebracht und 1995 inthronisiert. Ein Mönch aus dieser Gegend erzählte TIN: "Nachdem Pawo Rinpoche anerkannt war, wurde er zuerst nach Tsurphu gebracht, wo der Karmapa ihm die Gegenstände gab, die dem 10. Pawo Rinpoche gehört hatten".

Die Chinesen bestätigten Pawo Rinpoches Status nach dessen Anerkennung durch den Karmapa, der seinerseits vom Dalai Lama anerkannt und von Peking als Oberhaupt einer der vier Hauptschulrichtungen des tibetischen Buddhismus akzeptiert wurde. Ein weiterer nun im Exil lebender Mönch kommentierte: "Während die Chinesen zuvor Pawo Rinpoche akzeptiert hatten, wollen sie ihn jetzt, nachdem der Karmapa geflohen ist, nicht mehr und sagen, er sei ein falscher Lama". Wie empfindlich die Regierung auf die Lage in Nyenang reagiert, wurde deutlich, als im Dezember 2000 einer offiziellen Regierungsdelegation aus dem Westen trotz ihrer ausdrücklichen Bitte die Erlaubnis zum Besuch des Klosters verweigert wurde.

Religiöse Aktivitäten in Nyenang und Tsurphu sind seit der Abreise Karmapas und dem Abtransport Pawo Rinpoches nach Lhasa sehr zurückgegangen. "Seit der Karmapa wegging, litten die religiöse Ordnung und Disziplin wie auch die Entwicklung des Klosters Tsurphu gewaltig", meinte einer der tibetischen Mönche aus der Gegend. "Die Lokalbehörden schickten Kader, die nun mit Hilfe der demokratischen Verwaltungskomitees ein strenges Programm politischer und ideologischer Erziehung für die Mönche durchziehen. Ihr traditioneller religiöser Lehrplan und ihre Aktivitäten wurden untergraben und vernachlässigt, weshalb religiöse Studien nicht mehr so ernst wie bisher genommen werden.

Vor der Flucht des Karmapas waren sowohl in Tsurphu als auch in Nyenang einige Entwicklungsprojekte im Gange. Die Straße von Tsurphu nach Lhasa sollte mit finanzieller Hilfe westlicher und taiwanesischer buddhistischer Organisationen saniert werden, und Lama Tsewang Tashi vom Kloster Nyenang engagierte sich für ein Projekt zur Förderung der Erziehung und Gesundheitsfürsorge in der Gegend. Dem Vernehmen nach brachen die Behörden die Ausbesserungsarbeiten an der Straße nach Tsurphu auf die Flucht des Karmapa hin ab.

nach oben